Bericht: EU-Marokko-Fischereiabkommen hängt von illegaler Besatzung ab
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Ein externer Evaluierungsbericht zum Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko für den Zeitraum 2019-2023 bestätigt, dass das Abkommen fast ausschließlich für Fischerei in der besetzten Westsahara genutzt wird.

08. März 2024

Bild: Marokkanische handwerkliche Fischer vor der Siedlerstadt Lassarga, in der Nähe von Dakhla. @ElliLorz

Ein neues, von der EU-Kommission veröffentlichtes Dokument zeigt, in welchem Maße das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko von den Beständen vor der Küste der besetzten Westsahara abhängt. 

Die Ergebnisse stammen aus einem Bericht, den die Generaldirektion Fischerei der EU-Kommission kürzlich veröffentlicht hat - eine "retrospektive und prospektive Bewertung des Protokolls zum partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei (SFPA) zwischen der EU und dem Königreich Marokko". Das Dokument wurde von Poseidon Aquatic Resource Management erstellt, einer Beratungsfirma, auf die sich die EU-Kommission häufig bei der Bewertung der technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Aspekte ihrer Fischereiabkommen verlässt.

Den Bericht finden Sie hier [oder Download hier].

Die Bewertung von Poseidon bezieht sich nur auf die oben genannten Aspekte des Protokolls[T1] , mit der sie beauftragt wurde. Sie bezieht sich nicht auf das laufende Gerichtsverfahren zum Fischereiabkommen, in dem ein Urteil bevorsteht, wie das Dokument in einer Fußnote erklärt.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Fangmöglichkeiten nur für Schiffe der so genannten Kategorie 6, d.h. pelagische industrielle Trawler, gut genutzt wurden. Im Rahmen des Protokolls können die EU-Reedereien Fangmöglichkeiten in sechs verschiedenen Kategorien beantragen, die den verschiedenen Arten der Fischerei in unterschiedlichen geografischen Gebieten entsprechen. Kategorie 6 betrifft pelagische Arten. Das Gebiet ist geografisch auf die Gewässer der besetzten Westsahara und nicht auf Marokko begrenzt. Die Fangmöglichkeiten (bzw. Lizenzen) für die anderen fünf Kategorien - von denen einige auch in der Westsahara gelten - wurden dem Bericht zufolge deutlich zu wenig genutzt. Im Durchschnitt wurden nur 22 % der in diesen fünf Kategorien verfügbaren Lizenzen genutzt: nur 24 von maximal 110 Schiffen, die in den Kategorien 1 bis 5 fischen durften, nahmen die Möglichkeiten wahr. Es ist bemerkenswert, dass selbst in den wenig genutzten Kategorien (mit Ausnahme der Kategorien 1 und 2, die für Marokko selbst gelten) praktisch alle Fänge in der Westsahara getätigt wurden. Diese Mengen sind jedoch sehr gering im Vergleich zu den pelagischen Fängen der Kategorie 6.

Die Bedeutung der Kategorie 6 - Fischerei in der Westsahara - für die EU-Flotte kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aus der Poseidon-Studie geht hervor, dass 99 % der Gesamtfänge der EU-Flotte im Rahmen des Protokolls zwischen 2019 und 2023 von Fischereifahrzeugen der Industriefischerei getätigt wurden, die kleine pelagische Arten fangen, d. h. Fischerei der Kategorie 6, die ausschließlich in der besetzten Westsahara betrieben wird.

Dass die Anwendung des Abkommens auf die besetzten Gebiete für die EU-Flotte tatsächlich von wesentlicher Bedeutung ist, wird auch deutlich, wenn man die Rendite der EU-Investitionen in dieses Abkommen untersucht. Die Evaluierungsstudie kommt zu dem Schluss, dass jeder investierte Euro einen direkten und indirekten Gegenwert von fast 3,3 Euro bringt. 

"Die gute Nutzung der Fangmöglichkeiten durch die Vorzeigekategorie des Protokolls, die Kategorie 6 der industriellen Fischereifahrzeuge, die auf kleine pelagische Arten fischen, erklärt dieses Ergebnis", heißt es in der Studie, und weiter: "Auf diese Kategorie entfallen 97% des Mehrwerts, den die gesamte EU-Flotte im Rahmen des derzeitigen Protokolls erwirtschaftet." 

Auch die EU-Betreiber machen Gewinn: Die Poseidon-Studie gibt für die ersten beiden Kalenderjahre des Protokolls einen Jahresumsatz von durchschnittlich 90 Millionen Euro an. 98 % davon entfallen auf die Fischerei der Kategorie 6: pelagische Fischerei in besetzten Gewässern.

Auch die Gelder, die Marokko im Rahmen des Abkommens erhält, werden größtenteils in den besetzten Gebieten ausgegeben, wo das Geld der EU-Steuerzahler:innen für den Aufbau des marokkanischen Fischereisektors und für Infrastrukturprojekte verwendet wird. Das Abkommen enthält eine Klausel, die besagt, dass das Geld, das die EU an Marokko für den Zugang zu den Fischereigründen zahlt, sowie die Gebühren, die die EU-Fischereiunternehmen zusätzlich entrichten müssen, von Marokko in Projekte zum sozioökonomischen Nutzen der "betroffenen Bevölkerung", d. h. derjenigen, die in den Fischereigebieten leben, investiert werden sollen. 

Es überrascht daher nicht, dass 95,5 % der EU-Zugangsgelder in der besetzten Westsahara für Projekte verwendet wurden, die "den Gesundheitssektor (Bau und Ausstattung eines Krankenhauses), den Ausbildungssektor (Bau von Ausbildungszentren), die Landwirtschaft (Bewässerung), die Straßen- und Hafeninfrastruktur sowie den Energiesektor (Wasserkraftwerke, Stromverteilungsnetze) betreffen". 

Zusätzlich zu den Zugangsgebühren, die von der EU und den Betreibern gezahlt werden, stellt die EU im Rahmen des Abkommens auch "sektorale Unterstützung" bereit: Mittel, die speziell für die Entwicklung des marokkanischen Fischereisektors vorgesehen sind. Die Bewertung enthält einen Überblick darüber, wie viel von der sektoralen Unterstützung in welcher "marokkanischen" Region ausgegeben wurde, ohne einen Einblick darüber zu geben, wie viel in der Westsahara ausgegeben wurde. Auf der Grundlage der vorgelegten Zahlen hat WSRW errechnet, dass 75,55 % der sektoralen EU-Unterstützung zur Stärkung des marokkanischen Fischereisektors in den illegal besetzten Gebieten verwendet wurden. Unter anderem hat Marokko die handwerkliche Fischereiflotte modernisiert, seine Möglichkeiten zur Vermarktung von Fischereierzeugnissen gestärkt (Bau von Fischmärkten usw.), Aquakulturprojekte entwickelt (Docking-Infrastruktur, Pontons, Umschlaggeräte usw., insbesondere in der Bucht von Dakhla), Forschungsschiffe und Überwachungsfahrzeuge usw. für den Einsatz in den besetzten Gebieten gekauft.

Die EU-Kommission ist sich durchaus bewusst, dass sie solche Projekte auf besetztem Gebiet finanziert, da sie den Projekten ausdrücklich zustimmen muss, bevor eine Finanzierung freigegeben wird. Das einzige Problem, das die EU-Kommission anspricht, ist, dass Marokko nicht ausreichend darauf hinweist, dass diese Projekte mit EU-Mitteln durchgeführt werden.

Im Rahmen des Protokolls sind die EU-Schiffe verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Fänge in "lokalen Häfen" anzulanden. Aus den von Marokko an die EU übermittelten Daten geht hervor, dass Schiffe der Kategorie 4 ihre Fänge ausschließlich im Hafen von Dakhla anlandeten. Bei den Schiffen der Kategorie 6 verteilten sich die Anlandungen auf den Hafen Agadir (durchschnittlich 64 % der Anlandungen) und den Hafen von Dakhla (36 %). Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass 99 % der Fänge in dieser Kategorie in der Westsahara getätigt werden, aber 64 % der Fänge in einem Hafen in Marokko angelandet wurden. In der neuen Studie wird erklärt, dass die meisten von EU-Schiffen angelandeten Fänge nicht an die örtliche Verarbeitungsindustrie verkauft wurden - obwohl ein sogenanntes RSW-Schiff kleine pelagische Arten an einen Verarbeitungsbetrieb in Dakhla verkauft hat. Die meisten angelandeten Fänge werden jedoch in die EU transportiert, um auf dem Binnenmarkt verkauft zu werden, oder sie werden in Drittländer verschifft.

In Anbetracht dessen ist es nicht überraschend, dass "die beiden Parteien und die konsultierten Besitzer:innen der EU-Fischereischiffe [...] den Wunsch geäußert haben, dass das Protokoll verlängert wird", wie die Poseidon-Studie abschließend feststellt. In der Studie wird mit keinem Wort auf die Position des Volkes der Westsahara eingegangen, das die Hoheitsrechte über die Gewässer besitzt, in denen 99 % des Abkommens umgesetzt werden. 

Kontroverserweise beauftragte die EU-Kommission Poseidon im Jahr 2022 damit, auch ein künftiges Protokoll für die Westsahara im Rahmen desselben Abkommens zu bewerten. Das Beratungsunternehmen unterbreitete Vorschläge für die Fortsetzung der EU-Fischerei, selbst wenn es kein Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko geben sollte, mit oder ohne Protokoll. 

Das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko wurde 2018 vom Europäischen Gerichtshof in seiner Anwendung auf die Westsahara für rechtswidrig erklärt, da Marokko keine Souveränität oder ein Verwaltungsmandat über das Gebiet hat und das Abkommen nicht mit der Zustimmung des sahrauischen Volkes geschlossen wurde. Die EU-Kommission reagierte auf dieses Urteil, indem sie mit Marokko eine Änderung des Abkommens aushandelte, sodass es sich fortan ausdrücklich auf die Westsahara bezieht. Anstatt die Zustimmung des Volkes der Westsahara einzuholen, führte sie eine Konsultation marokkanischen Politiker:innen und Wirtschaftsakteuren in dem Gebiet durch. Da die Zustimmung des sahrauischen Volkes nicht eingeholt worden war, erklärte das Gericht der EU dieses neue Abkommen in der Westsahara erneut für nichtig. Das vom EU-Rat und der Kommission eingeleitete Berufungsverfahren läuft noch. Ein endgültiges Urteil wird noch vor dem Sommer erwartet.

 

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